Die verborgenen Implikationen des Bergmodells
- Das Bergmodell impliziert 5 Grundgefühle
Die hier verwendeten 5 Grundgefühle sind: Freude, Schmerz, Angst, Trauer und Wut. Das ist übersichtlich und „lässt sich an einer Hand abzählen“, wobei die Freude als Daumen den 4 Gefühlen gegenübersteht. - Das Bergmodell impliziert eine Abkehr von der Bewertung der Gefühle in „gute Gefühle“ und „schlechte Gefühle“
Das Bergmodell verwendet eher den Begriff „angenehme Gefühle“ und „unangenehme Gefühle“. Das angenehme Gefühl der Freude signalisiert uns, dass Bedürfnisse erfüllt sind, die unangenehmen Gefühle zeigen uns, dass Bedürfnisse nicht erfüllt sind. - Das Bergmodell impliziert eine gewollte Offenheit für die unangenehmen Gefühle
Die Gefühle von Schmerz, Angst, Trauer und Wut werden bewusst zugelassen, um sie als Signalgefühle für unerfüllte Bedürfnisse nicht zu übergehen oder abzulehnen. Ich begrüße es z. B. also, wenn PatientInnen traurig sind (Trauer ist besser als Selbstablehnung oder Vorwürfe des Verlassen-Werdens) - Das Bergmodell impliziert das Doppelgesicht der Gefühle
Gefühle können einerseits momentan angemessen sein (Überprüfung durch Resonanz). Andererseits haben wir oft „Lieblingsgefühle“; mit denen wir diejenigen Gefühle vermeiden, mit denen wir nicht gelernt haben, umzugehen (d. h. sie zu spüren, an geeignetem Ort zu zeigen und Resonanz entgegenzunehmen). Das kann Wut statt Trauer, aber auch Angst statt Wut, Schmerz statt Freude etc. sein. Im Bergmodell kann man das handelnd zeigen, in dem wir die Kugel schnell zu einem anderen Gefühl rollen lassen. - Die Sonderstellung der Wut als letztes Gefühl in der Reihe der unangenehmen Gefühle
- Wut ist das einzige Gefühl, das abgrenzt (alle anderen Gefühle suchen Nähe), ist also zur Individuation wichtig
- Wut ist von den 4 unangenehmen Gefühlen durch seine orgasmische Komponente oft das angenehmste.
- Das Bergmodell impliziert eine Unterscheidung zwischen primären Gefühlen und sekundären Gefühlen
- „reine Gefühle“ = „Gefühle ohne Gedanken“ = „ungerichtete Gefühle“ = „Primäre Gefühle“: Im Bergmodell ist die Kugel oben im „Hochtal“.
- „Gefühle plus Gedanken“ = „Sekundäre Gefühle“, meist mit Attribuierung: Im Bergmodell ist die Kugel am Fuße der Abhänge beiderseits des Hochtals.
- Das Bergmodell impliziert eine Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdattribuierung
- Selbstattribuierung bedeutet, dass die Gefühle gegen sich selbst gerichtet werden: Selbstanklage (Strafe statt Schmerz), geringes Selbstvertrauen (statt Angst), Selbstablehnung oder mangelnde Selbstliebe (statt Trauer) und Hass auf sich selbst (statt Wut). Im Bergmodell ist die Kugel auf dem Täterplatz („Ich bin der Täter der Misere“).
- Fremdattribuierung bedeutet, dass die Gefühle gegen andere gerichtet werden: Fremdanklage (statt Schmerz, Angst), Vorwurf des Verlassen-Werdens (statt Trauer) oder Hass auf andere statt Wut. Im Bergmodell ist die Kugel auf dem Opferplatz („Ich bin das Opfer der Anderen“).
- Das Bergmodell impliziert Gleichmut gegenüber allen Gefühlen
Alle reinen, ungerichteten Gefühle sind wichtig. Im Bergmodell halten die Gefühle die Kugel und bewahren sie vor dem Abgleiten in Fremd- oder Selbstbeschuldigung. - Das Bergmodell impliziert Gleichzeitigkeit von Gefühlen
Wenn die Gefühlsbausteine auf dem Bergmodell vollständig sind, könnte statt der Kugel (die immer nur bei einem Gefühl sein kann) in der Rinne auch Wasser einen kleinen See bilden, der alle Gefühle benetzen kann, auch wenn durch Wellen mal das eine, mal das andere betont wird. - Das Bergmodell impliziert Ambivalenztoleranz
Durch die Gleichzeitigkeit von angenehmen und unangenehmen Gefühlen (=Ambivalenz) wird als normal und Ambivalenztoleranz als Zeichen seelischer Reife symbolisiert. - Das Bergmodell impliziert, dass es erfüllte und nicht erfüllte Bedürfnisse gibt
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, auch nicht erfüllte Bedürfnisse und die damit verbundenen unangenehmen Gefühle von Schmerz. Angst, Trauer und Wut zu spüren. - Das Bergmodell impliziert, dass Selbst- oder Fremdbeschuldigung Versuche sind, die unangenehmen Gefühle nicht spüren zu müssen
Fremd- oder Selbstbeschuldigung sind Fluchtversuche, um den Gefühlen zu entkommen, bei denen wir – aus mangelnder Resonanz-Erfahrung – „nicht wissen, wohin mit uns“. - Das Bergmodell impliziert gesundes Wachstum durch Resonanz-Erfahrung
Resonanz-Erfahrung ist eine „kontingente (mich „beinhaltende“) Reaktion“ (Grawe). Nicht-Resonanz für Gefühle führt zu gerichteten Gefühlen. Nachgeholte Resonanz-Erfahrung (z. B. in der Therapie, besonders in Gruppen) verstärkt die Toleranz für unangenehme Gefühle („Feeling more comfortable while feeling uncomfortable!“) und verringert Fremd – und Selbstverurteilung. - Das Bergmodell impliziert einen weiten Suchtbegriff:
Alle Aktionen, die wir verwenden, um von den unangenehmen Zuständen wegzukommen, können zur Sucht werden:- Sich sehr anstrengen, um „gut“ zu sein (Verwechslung von Anerkennung/Lob und Liebe). Im Bergmodell: Das ganze Bergmodell mühevoll kippen („tilten“) damit die Kugel im Hochtal zu den erfüllten Bedürfnissen rollt.
- Fremd- oder Selbstbeschuldigung. Im Bergmodell: Abgleiten auf Opfer- und Täterplatz
- Affektisolation („emotionale Selbstamputation“). Im Bergmodell: Im Tunnel verweilen
- Trauma-Folgekomplikationen (Position auf dem Bergmodell nach der Flucht aus der Schlucht):
- Fremd- oder Selbstbeschuldigung =Täter- oder Opferplatz
- Affektisolation = im Tunnel verweilen
- klassische Suchtentwicklung durch „sich etwas Nettes holen (Alkohol, Drogen, Shoppen, Arbeit, Extremsport…)“ = sich auf die Freudeseite hoch kicken
- Selbstverletzung = sich zum Schmerz hoch kicken
- Numbing out („sich heraus-dumpfen“) und Dissoziation = am Boden der Schlucht abwarten
- Trauma: Das Bergmodell impliziert ein offenes Zugehen auf abgespaltene traumatisierte Anteile (Innere Kinder) mit dem Ziel, diese zu integrieren.
Die Integration der abgespaltenen Anteile wird im Bergmodell wie folgt veranschaulicht: Die Schlucht symbolisiert das (Entwicklungs-) Trauma. Am „Boden der Schlucht“ sitzen die abgespaltenen traumatisierten Anteile und warten darauf, dass „endlich einer kommt und nicht vor uns davonläuft“ (5 Flucht-Sackgassen aus der Schlucht), sondern Mitgefühl mit uns zurückgelassenen „früheren Ausgaben von uns selbst“ zeigt (nicht unbedingt retten, Mitgefühl ist zuerst wichtig: „Das hättest Du damals so sehr anders gebraucht! Das war schlimm, das muss damals weh getan haben. Aber jetzt ist es vorbei und Du kannst Dich wehren.“). N.B. Hier werden die Trauma-Gefühle, die sich wie „Jetzt“ anfühlen, wahrgenommen, mit Selbstmitgefühl gespiegelt und zeitlich verortet („damals“). - Das Bergmodell impliziert Selbstmitgefühl und Selbstannahme
Indem ich mit dem Bergmodell umgehe und handele – sei es auch nur in Gedanken -, wende ich mich mir selbst zu, mache selbstfreundliche Annahmen über mich, was zur Selbstannahme führt.